Mahnmal für homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus

Dossier AA Bronson

 
 
Felix, June 5, 1994 Mirror Sequences

"Wir müssen uns erinnern, dass die Kranken, die Behinderten und, ja, sogar die Toten unter uns sind. Sie sind Teil unserer Gemeinschaft, unserer Geschichte, unserer Kontinuität. Sie sind unsere Mitbewohner in dieser Traumstadt." (AA Bronson)1

Schonungslos und denkbar unsentimental vermittelt das künstlerische Werk AA Bronsons die vielleicht letzten wirklichen Tabuthemen unserer Zeit: Krankheit, Verlust und Tod. Als einziger Überlebender der legendären kanadischen Künstlergruppe General Idea (=Gemeinplatz, 1969-1994), die 1969 in Toronto gegründet wurde, untersucht Bronson mit den Mitteln künstlerischer Gestaltung die kritische Frage, wie man das Unvermeidbare ertragen und daraus neue Kraft schöpfen kann. Nach dem Tod seiner beiden Partner Jorge Zontal und Felix Partz an den Folgen von AIDS im Jahr 1994 und dem damit einhergehenden Verlust einer symbiotischen Produktions- und Lebensgemeinschaft, begab sich Bronson auf Spurensuche nach der eigenen Identität, nach "den Grenzen des eigenen Körpers als unabhängiger Organismus", abgekoppelt vom Kollektiv. Mit dem Ende von General Idea verabschiedete sich Bronson von der Welt der Massenmedien, der Waren- und Glamourindustrie sowie von der den gemeinsamen Arbeiten eigenen bissigen Ironie und Unbekümmertheit. Die Transformation des berühmten LOVE-Bildes von Robert Indiana (1966), dessen vier Buchstaben sie durch vier andere - AIDS - ersetzten, verdichtet in perfekter Form den künstlerischen Ansatz von General Idea und benennt Ende der 80er Jahre jene Tragödie, die wenige Jahre später zum Zerfall der Gruppe führen sollte.

In seinem eigenen Werk erforscht AA Bronson seither mögliche Parallelen der Auswirkungen des Holocaust und der AIDS-Krise auf ihre Opfer und schafft damit den Übergang vom persönlich erlebten Albtraum zur allgemein gültigen Aussage über globale menschliche Katastrophen. Bronsons Oeuvre findet in den unterschiedlichsten Medien, von Fotografie über Installation, als Objekt, Video, Performance oder Text, stets aber in einer stringenten Formensprache, seinen Ausdruck. Wiederholt bezieht sich der Künstler auf kunsthistorische Topoi, die zu "Pathosformeln" der Darstellung von Tod, Leid und der Vergänglichkeit alles Irdischen geworden sind, wie beispielsweise das Stillleben, das Triptychon oder die Grabplatte. Mit einem ebenso klaren wie berührenden Werk und im Bewusstsein um die menschliche Unzulänglichkeit wagt sich AA Bronson an die ganz großen Themen: Liebe und Tod.

Ausgewählte Werke:
Jorge, February 3 (1994/2000): Auf drei Tafeln sieht man Fotografien von Jorge Zontal - schwer gezeichnet von den Auswirkungen von AIDS - die AA Bronson auf dessen Wunsch ca. eine Woche vor dessen Tod aufnahm. Jorge war zu diesem Zeitpunkt bereits blind. Die geistige Vorstellung seiner Physiognomie erinnerte ihn an Bilder von seinem Vater nach dessen Befreiung aus dem Konzentrationslager Auschwitz. Bronson erzählt in dem begleitenden Text, dass es seinem Freund ein Anliegen war, diese Ähnlichkeit zu dokumentieren, "..., diese Familienähnlichkeit der Gene und der Katastrophen. Seither ist mir klar, dass es in der Geschichte nur selten vorkommt, dass ganze Gemeinschaften ausgelöscht werden und die um sie herum existierenden Gemeinschaften unversehrt bleiben. Die Schwulen erlitten in den späten 80er und fast die gesamten 90er laufend Verluste."
Formal erinnern die drei großen Tafeln an das Triptychon, einen Bildtypus, der sich in der christlichen Kunst als klassisches Kreuzigungsformat durchgesetzt hat, und dem dadurch die Assoziation mit Leiden und Tod bereits inhärent ist.
Felix, June 5, 1994 (1995/98): Eines der wohl erschütterndsten Werke AA Bronsons zeigt Felix Partz in Überlebensgröße, kurze Zeit nach dem Eintreten des Todes. Zum Stillleben arrangiert, hergerichtet für den Empfang von Besuchern, liegt Partz von buntgemustertem Bettzeug eingehüllt und umgeben, in seinem Bett, neben ihm die TV-Fernbedienung, sein Kassettenrecorder und seine Zigaretten. Der Tod steht ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben, welches mit weit geöffneten Augen, die auf Grund extremer Auszehrung nicht mehr geschlossen werden konnten, an einen Totenschädel erinnert. Felix, June 5, 1994 ist nicht nur ein eindringliches Dokument der persönlichen Tragödie AA Bronsons und des Schreckens, den die Krankheit AIDS vor allem über schwule Männer brachte, sondern auch ganz allgemein ein "Memento mori", eine Erinnerung an die Unabwendbarkeit des Todes.
Mirror Sequences (1969-70): In dieser frühen Serie beschäftigt sich Bronson mit dem Spiegelbild und dem fotografischen Abbild als Mittel zur Selbstbestimmung, zur Identifikation des Selbst als einheitliches Subjekt. Der Konvexspiegel zerstreut diese Illusion und verweist auf die Disparität, welche die eigentliche nicht-einheitliche Selbsterfahrung eher wiederzugeben vermag. Mit unseren eigenen Augen vermögen wir weder unseren Körper vollständig zu erfassen, noch uns so zu sehen, wie uns die Anderen sehen. Darauf reagiert Bronson, indem er, mit einem Konvexspiegel und einer Kamera ausgerüstet, sich selbst von den verschiedensten Blickwinkeln ins Bild setzt.
Arbeit Macht Frei (2001): Bronson nimmt hier 30 Jahre später das Motiv des Konvexspiegels wieder auf und arrangiert aus mehreren dieser Spiegel den Schriftzug "Arbeit macht frei". Mit diesen Worten, die am Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz prangten, thematisiert Bronson die Auslöschung ganzer Bevölkerungsgruppen, die als unerwünscht und störend empfunden werden. Durch den Spiegeleffekt erfasst das Werk jeden Betrachter und setzt sein Bild, wenn auch nur für kurze Zeit und in verzerrter und zerstreuter Form, in Kontext mit einer Ideologie, die den Nährboden für diese Massenmorde bereitete.

Kurzbiographie:
AA Bronson: *1946 in Vancouver, Kanada. Er lebt und arbeitet in Toronto und New York und war von 1969 bis 1994 Mitglied der Künstlergruppe General Idea. AA Bronson wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter zwei OAAG Awards (beste Ausstellungsinstallation und bestes Künstlerbuch) für AA Bronson: The Quick and the Dead (2004); The Chalmers Fellowship (2003); der zweite Patz in der Kategorie beste monographische Museumsausstellung für die Ausstellung Mirror Mirror im MIT List Visual Arts Center, AICA Awards, Boston Chapter, Boston (2003); der Bell Canada Award in Video Art (2001) und der Lifetime Achievement Award from the City of Toronto (1993).

Ausgewählte Ausstellungen:
Einzelausstellungen: 2004 The Morris and Helen Belkin Art Gallery, Vancouver; John Conelly Presents, New York / 2003 IKON Gallery Birmingham, Birmingham; Galerie Frédéric Giroux, Paris; The Power Plant, Toronto / 2002 MIT List Visual Arts Center, Cambridge / 2001 Museum of Contemporary Art, Chicago; The Balcony, Toronto; National Gallery of Canada, Ottawa; Jewish Museum, New York / 2000 Secession, Wien; Ecart, Basel / 1999 1301PE, Los Angeles.

Gruppenausstellungen: 2005 The Log Cabin, Artist Space, New York; Trade, White Colums, New York / 2004 Get Off!, Museum of Sex, New York; Freedom Salon, Deitch Project, New York / 2002 Whitney Biennial, Whitney Museum of American Art, New York / 2001 Angst, Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal und Kunsthalle Graz, Graz / 2000 La Biennale de Montréal, CIAC, Montreal / 1999 Dream City, Villa Stuck, München / 1998 Brain Multiples, Art Metropole, Toronto.

Ausgewählte Publikationen:
AA Bronson, IKON Gallery, Birmingham 2003; AA Bronson: The Quick and the Dead, The Power Plant, Toronto 2003; Mirror Mirror, MIT List Visual Arts Center, Cambridge 2002; Negative Thoughts, Museum of Contemporary Art, Chicago, Chicago 2001; Angst, Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal und Grazer Kunstverein, Wien 2001; AA Bronson 1969-2000, Secession, Wien 2000; Dream City, Kunstraum München, Kunstverein München, Museum Villa Stuck, Siemens Kulturprogramm, Berlin 1999.

Abbildungen:
Felix, June 5, 1994 (1995/1998), Lack auf Vinyl, 2135 x 4270 mm;
Mirror Sequences (1969-70), Schwarzweißfotografien (Unikate/7-teilige Serie);
Courtesy AA Bronson

1) Alle Zitate in folgendem Text sind zit. n.: AA Bronson, in: AA Bronson 1969-2000, Secession, Wien 2000.


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