Mahnmal für homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus

Dossier Michael Elmgreen & Ingar Dragset

 
 
Powerless Structures, Fig. 44 The Welfare Show

Das dänisch-norwegische Duo Michael Elmgreen und Ingar Dragset zählt zu den angesagtesten Künstlern der letzten zehn Jahre auf internationalem Parkett. In der Auseinandersetzung mit konventionellen Wahrnehmungsmustern von Raum entwerfen Elmgreen & Dragset ein medial breit angelegtes Werk im Grenzbereich zwischen Kunst, Architektur und Design. Ihre Objekte, Performances, raumgreifende Installationen und Environments gehen von den ideologischen Bedeutungen, die verschiedenen dieser Bereiche eingeschrieben sind und gesellschaftliche Macht über den Einzelnen ausüben, aus. Sensibilisiert durch den eigenen Blickwinkel als schwules Künstlerpaar in einer mittelständischen urbanen Lebenswelt, analysieren Elmgreen & Dragset präzise eingefahrene Prämissen und Verhaltensmuster im gesellschaftlichen Zusammenleben. Mit Ironie und bestechender Leichtigkeit legen sie offen, wie sehr diese den Kontrollmechanismen einer weißen und heterosexuell dominierten Gesellschaft unterworfen sind. Gesellschaftskritik äußert sich dabei nicht in expressiv-rebellischem Aufbegehren, sondern vielmehr in der subtilen Unterwanderung festgefrorener Parameter aus der neueren Kunstgeschichte, wie dem komplexbeladenen Territorium "Ausstellungsraum" und den mit ihm verknüpften Mythen der Moderne.

Die Werke von Elmgreen & Dragset erinnern nicht nur in ihrer minimalistischen Ästhetik an die Kunstströmungen der 1960er- und 1970er-Jahre, sondern forcieren, in Anlehnung an den theatralischen Aspekt der Minimal Art, auch bewusst einen performativen Moment. Diesen, von dem bedeutenden amerikanischen Kunsthistoriker Michael Fried mit dem Begriff der "Theatricality" als Schwachpunkt der sonst so "straighten" Kunstrichtung kritisierten Wesenszug der Minimal Art, schlachten die Künstler in ihrer Werkserie der Powerless Structures nach allen Regeln der Kunst aus. Powerless Structures - machtlose Strukturen - nennt das Künstlerduo mit Faible für die Farbe Weiß eine fortlaufend durchnummerierte Werkserie, die um das zentrale Thema des "White Cube" kreist und dessen "machtvolle Struktur", als kanonisierten, vermeintlich neutralen Präsentationsort von Kunst konsequent in Frage stellt. Elmgreen & Dragset reanimieren, ja sexualisieren in ihren Projekten das modernistische Relikt "White Cube" und hauchen mit Hilfe gezielter performativer Eingriffe den Orten der Kunst Erotik und Leben ein.

Ausgewählte Werke:
Cruising Pavilion / Powerless Structures, Fig. 55 (1998) ist ein einfacher weißer Container, ein Pavillon, den Elmgreen & Dragset in einem öffentlichen Park in der dänischen Stadt Århus als Schwulen-Treff aufstellten. Die labyrinthische Struktur bildete einzelne Räume. Die Löcher in den Wänden, so genannte "gloryholes", ermöglichten sowohl die Durchsicht als auch den physischen Kontakt der Penetration. Elmgreen & Dragset verknüpfen in dieser Arbeit minimalistische Elemente, die glatt, weiß und "straight" sind mit solchen, die aus der Subkultur stammen, wie in diesem Falle dem der Sex-Treffs. In Arbeiten, wie eben dieser oder auch Queer Bar (1998) setzten sie sich damit auseinander, dass sich die Schwulen-Kultur üblicherweise gezwungen sah, Örtlichkeiten, die eigentlich für andere Zwecke vorgesehen waren (öffentliche Toiletten, Badehäuser, Parks), in intime Räume zu verwandeln.

Powerless Structures, Fig. 44 (1998): Für die Ausstellung Junge Szene 1998 in der Wiener Secession haben Elmgreen & Dragset einen Glaskubus installiert, dessen Wände sie in einer Performance während der Ausstellungseröffnung von innen fortwährend mit weißer Farbe anstrichen und wieder abspritzten. Als Raum im Raum verwies die Arbeit auf den Hauptraum der Wiener Secession, als ersten so genannten "White Cube" der Ausstellungsgeschichte. Die Arbeit erlaubt, neben der Anspielung auf die weiße Zelle als idealisierten Ausstellungsraum, bedingt durch ihren performativen veränderlichen Charakter, ein breit gefächertes Assoziationsfeld. Der amerikanische Kunsthistoriker Bill Arning beispielsweise, interpretiert diese Live-Installation, die malerischen Farbspritzer als Äquivalent zur männlichen Ejakulation auffassend, als Allegorie einer schwulen Jack-off-Party.

Linienstrasse 160 (Neue Mitte) (2005): Den Titel ihrer jüngsten Ausstellung leiten Elmgreen & Dragset von der Anschrift des Ausstellungsortes, der alten Galerie Klosterfeld, ab. So unspektakulär wie der Titel präsentiert sich die Arbeit als einfache Rückführung der Galerieräume in deren ursprüngliche Nutzung, einen Durchgang zum Hinterhof. Mit zurückhaltender Eleganz renoviert und mit den für die junge Bewohnerschaft der Neuen Mitte in Berlin typischen Alltagsrequisiten, wie einem schicken Designerkinderwagen und einem teuren Markenfahrrad, ausgestattet, schildert diese Installation die rapide Verwandlung des ehemaligen Ostviertels in eine Art Getto der jungen Berliner Oberschicht.

The Welfare Show (2005) ist als abstrakte, künstlerische Stellungnahme zu den aktuell allgegenwärtigen Reformdebatten über die Zukunft sozialer Sicherungssysteme zu verstehen. Das Wanderprojekt, das im Frühjahr in der Kunsthalle Bergen (Norwegen) startete und in jeweils leicht abgewandelter Form im Laufe dieses Jahres in Wien (BAWAG Foundation) und in Toronto (The Power Plant) zu sehen sein wird, setzt sich mit zentralen Einrichtungen unserer Gesellschaft auseinander. In Bergen beispielsweise, ist der Eingangsbereich der Kunsthalle einem multinationalen Unternehmen nachempfunden; in weiterer Raumfolge findet sich der Besucher in einem sterilen Krankenhauskorridor oder der Abflughalle eines Flughafens wieder. Readymades gleich, versetzen Elmgreen & Dragset ganze Institutionen in den Kunstkontext und stellen durch die Verschiebung des Blickwinkels - der auch an jeder Station der Ausstellung ein etwas anderer sein wird - deren gesellschaftliche Bedeutung und Strukturen zur Debatte.

Kurzbiographie:
Michael Elmgreen: *1961 in Kopenhagen, Dänemark / Ingar Dragset: *1969 in Trondheim, Norwegen. Sie leben und arbeiten in Berlin. Seit 1995 bilden Michael Elmgreen & Ingar Dragset eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Seit 1997arbeiten sie an der Werkserie der Powerless Structures. 2002 erhielten sie den "Preis der Nationalgalerie für junge Kunst" in Berlin für ihr Projekt The Welfare Show. Werke von Elmgreen & Dragset sind Teil zahlreicher bedeutender öffentlicher und privater Sammlungen in aller Welt.

Ausgewählte Ausstellungen:
Einzelausstellungen: 2005 Bergen Kunsthall, Bergen; BAWAG Foundation, Wien; The Power Plant, Toronto; Wrong Gallery, New York / 2004 Sprengel Museum, Hannover; Tate Modern, London; Museum Folkwang, Essen / 2003 Portikus, Frankfurt/Main; Galerie Emmanuel Perrotin, Paris; Tanya Bonakdar Gallery, New York; Galleri Nicolai Wallner, Kopenhagen / 2002 Galleria Massimo de Carlo, Mailand; Sala Montcada/Fondaciò La Caixa, Barcelona / 2001 Kunsthalle Zürich, Zürich; Statens Museum for Kunst, Kopenhagen; Klosterfelde, Berlin / 2000 Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig / 1999 The Project, New York.

Gruppenausstellungen: 2005 Kiss the Frog. The Art of Transformation, Oslo Nasjonalmuseet for Kunst, Oslo; Universal Experience, Museum of Contemporary Art, Chicago / 2004 Modus Operandi, Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Wien; Artists' Favourites, ICA - Institute for Contemporary Art, London / 2003 Utopia Station, 50th Biennale di Venezia, Venedig; Living Inside The Grid, New Museum for Contemporary Art, New York; nation, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt/Main; Happiness, Mori Art Museum, Tokyo; Das Lebendige Museum, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main / 2002 25th Sao Paulo Biennial, Sao Paulo; Beyond Paradise, National Art Gallery, Bangkok; Palais de Tokyo, Paris; Shopping, Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main / 2001 Egofugal, 7th International Istanbul Biennial, Istanbul; Inside Space, MIT List Visual Arts Center, Cambridge, MA / 2000 Borderline Syndrome, Manifesta 3, Ljubljana; What If..., Moderna Museet, Stockholm / 1998 Berlin/Berlin, Berlin Biennale, Berlin; Junge Szene, Wiener Secession, Wien; Nuit Blanche, Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, Paris.
Ausgewählte Publikationen:
Cream 3. Contemporary Art in Culture, London/New York 2003, S. 128-131; Michael Elmgreen & Ingar Dragset: Taking Place, Beatrix Ruf (Hg.), Kunsthalle Zürich/Hatje Cantz, Zürich/Ostfildern-Ruit 2002; Daniel Birnbaum, "White on white. The Art of Michael Elmgreen & Ingar Dragset", in: Artforum International, April 2002, Nr. 8, S. 98-101.

Abbildungen:
Cruising Pavilion / Powerless Structures, Fig. 55, 1998, Foto: Bent Ryborg/Planet Photo, Courtesy: Galleri Nicolai Wallner, Kopenhagen;
The Welfare Show, 2005, Foto: Wolfgang Wössner, BAWAG Foundation.


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