Hans Kupelwieser zählt zu den konsequentesten Vertretern im Bereich der postmedialen Skulptur in Österreich. Seine Arbeit lässt sich innerhalb des so genannten „erweiterten Feldes“ situieren. Dieser Begriff wurde von der amerikanischen Kunsthistorikerin Rosalind E. Krauss in Bezug auf die Skulptur der 1970er-Jahre geprägt, die die traditionellen Gattungsgrenzen sprengte, indem sie ihren Umraum erfasste und gestaltete. In Hinblick auf Kupelwiesers Werk beschränkt sich diese Erweiterung nicht alleine auf die Eroberung des Raumes, sondern vor allem auch auf einen experimentellen Umgang mit neuen Materialien. Wie kaum ein anderer beherrscht der Künstler die Klaviatur material- und medienimmanenter Eigenschaften.
Im Spannungsfeld zwischen den klassischen Kategorien Skulptur und Fotografie - die in seinem Werk nicht nur gleichberechtigt nebeneinander stehen, sondern darüber hinaus methodisch ineinander greifen - verhandelt der Bildhauer den traditionellen Konflikt zwischen Fläche und Objekt, der im Wechselspiel zwischen Zwei- und Dreidimensionalität kulminiert. Im Verfahren des Fotogramms - einer simplen fotografischen Abbildungsmethode ohne Kamera, bei der Objekte auf einem lichtempfindlichen Bildträger direkt arrangiert und belichtet werden - fand Kupelwieser ein ideales Hilfsmittel, um Gegenstände in Bilder zu verwandeln, in zweidimensionale Negativbilder also. Als indexikalisches Zeichen, gewissermaßen als Abdruck eines realen Körpers, vermögen Schatten und Spur die den Gegenstand auszeichnende Dimension des Raumes sichtbar zu machen. Kupelwieser nützt den fotografischen Effekt der Umkehrung von Positiv in Negativ zur Reprojektion zurück in die dritte Dimension. Vergleichbar mit einem Vexierbild oszillieren seine fotogrammatischen Arbeiten zwischen den Gegensätzen, zwischen Positiv und Negativ, Fläche und Raum, Präsenz und Absenz. Als präzise Analysen bezeichnet, stellen Kupelwiesers Werke vor allem immer auch das Abwesende verdichtet dar. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust und seinen Opfern ist es dieses Thematisieren der Leerstelle, das den unwiederbringlichen Verlust nachhaltig artikuliert.
Es ist bemerkenswert, dass Hans Kupelwieser im Rahmen seines so vielschichtigen wie streng konzeptuellen Œuvres bereits einige Denkmäler zur Erinnerung an die Gräuel des Nationalsozialismus realisieren konnte, wie zum Beispiel die Erinnerungsstätte für die Widerstandsgruppe Kirchl-Trauttmannsdorff (1988) in St. Pölten, das Mahnmal am jüdischen Friedhof in Krems (1995) und das Denkmal zur Erinnerung an die ehemalige Hitzinger Synagoge (2005). Das mag daran liegen, dass es Kupelwieser in seinen Denk- und Mahnmälern versteht, inhaltliche Anliegen weitab von expressiven Gefühlsäußerungen oder emotiven Betroffenheitsgesten auf sehr subtile Weise in eine rigide Formensprache umzusetzen. Kupelwieser ist es wiederholt gelungen, in aller formaler Zurückhaltung das Denken des Betrachters gehörig in Gang zu setzen.
Ausgewählte Werke:
Ohne Titel (1995) nennt Hans Kupelwieser das schlichte Denkmal zur Erinnerung an die 129 im Zweiten Weltkrieg vertriebenen und ermordeten Kremser Juden, deren Namen und Kurzbiographien in ein Stahlband von 48 Meter Länge geschnitten sind. Gleich einer Schwelle, schwebt es ca. 20 cm über dem Boden, quer zum Eingang des Friedhofes, und stellt sich dem Besucher jedes Mal von neuem in den Weg. Kupelwieser berücksichtigt das jüdische Bilderverbot und trägt gleichzeitig der Tradition der Schriftüberlieferung Rechnung. Als Leerstellen formuliert, verbinden sich in der Schrift Momente des Abdrucks von etwas Gewesenem mit der ihr eigenen Symbolkraft.
Standpunkt Geschichte (2004): Das Denkmal erinnert an die 1928 nach einem Entwurf von Arthur Grünberger erbaute Neue-Welt-Synagoge in Hietzing, einem architekturhistorisch bedeutenden Bau, der 1938 von Nationalsozialisten und ihren Helfern in der Bevölkerung zerstört wurde. Kupelwiesers Mahnmal besteht aus einer einfachen, alten Fotografie der spurlos vernichteten Synagoge auf einer Stele aus Glas. Der Fries der ehemaligen Synagoge wurde in den Dimensionen des ehemaligen Baus auf den Gehsteig gemalt. Der Betrachter, der seinen Standpunkt vor dem Mahnmal einnimmt, richtet seinen Blick zugleich auf Vergangenheit (in Form des Fotos) und Gegenwart (in Gestalt eines simplen Wohnbaus aus den 1950er- oder 60er-Jahren).
Erythrozyten (2002): In einer nicht-hierarchischen seriellen Formation verteilt Kupelwieser überdimensionierte rote Blutkörperchen im Gebäude des Grazer LKH West. Vergleichbar mit ihren Vorbilder aus der Natur sind Kupelwiesers Objekte keiner statischen Form unterworfen. Die Skulpturen sind variabel formbar und passen sich der jeweiligen Situation oder Nutzung an. Kupelwieser bedient sich einer gegenständlichen, der Natur entlehnten Form, die er durch digitales Morphing im Computer verfremdet und in das System Kunst überführt. Auf Grund der extremen Vergrößerung und der seriellen Anordnung rückt die gegenständliche Referenz gegenüber der künstlerischen Gestaltung in den Hintergrund.
Blase in die Ecke (2004) gehört zu Kupelwiesers Serie der pneumatischen Skulpturen, den so genannten »Gonflables«, mit der er sich seit Anfang der 1990er-Jahre beschäftigt. Die »Gonflables« entstehen, indem verschweißte Aluminiumbleche zu überdimensionalen Ballons aufgeblasen werden. Blase in die Ecke wurde 2004 anlässlich der letzten großen Retrospektive Kupelwiesers in der Neuen Galerie Graz realisiert. Das Spiel mit Material- beziehungsweise Funktionstäuschungen gehört zum Repertoire der zeitgenössischen Skulptur. So erstaunt es nicht, wenn etwa Kupelwiesers Aluminiumblase, ganz entgegen der Materialeigenschaften des Metalls, in einer Ecke des Innenhofes der Neuen Galerie in vermeintlicher Leichtigkeit über den Köpfen der Betrachter schwebt.
Kurzbiographie:
*1948 in Lunz am See (NÖ). Er lebt und arbeitet in Wien, wo er von 1970 bis 1973 die Graphische Lehr- und Versuchsanstalt besuchte. Von 1976 bis 1982 studierte Kupelwieser an der Hochschule für Angewandte Kunst Wien bei Herbert Tasquil, Bazon Brock und Peter Weibel. Seit 1995 unterrichtet er als Professor am Institut für Zeitgenössische Kunst der Technischen Universität in Graz.
Ausgewählte Ausstellungen:
Einzelausstellungen: 2004 ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe / Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz / 2001 Kunsthaus Muerz, Mürzzuschlag / 1999 Kulturinstitut, Mailand / 1995 Kulturhaus, Graz; Trabant, Wien; Galerie Stadtpark, Krems / 1994 MAK - Museum für Angewandte Kunst, Wien / 1990 Secession, Wien / 1989 Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz / 1985 Galerie Hummel, Wien; Engelhornstiftung, München (mit Franz West) / 1984 Galerie Winter, Düsseldorf und Wien.
Gruppenausstellungen: 2005 Stretch Skulpture, Kunsthaus Meran, Meran / 2004 Wiener Linien, Wien Museum, Wien / 2003 Österreichischer Skulpturenpark, Graz / 2002 current settings - der mediale Blick als Transfer, Kunstforum, Hallein / 2001 der ironische blick, Landesgalerie am OÖ. Landesmuseum, Linz / 2000 cultural sidewalk - Gumpendorf 2000, Wien / 1998 Lifestyle, Kunsthaus, Bregenz / 1997 Alpenblick, Kunsthalle, Wien / 1996 Antagonismes, Centre National de la Photographie, Paris / 1995 Fisch & Fleisch - Photographie aus Österreich 1945-1995, Kunsthalle, Krems; Künstlerhaus Palais Thurn & Taxis, Bregenz / 1994 Transfer, Medellín, Kolumbien / 1992 Identität: Differenz, steirischer herbst 92, Graz / 1991 Kunst, Europa, Deichtorhallen, Hamburg / 1989 Brennpunkt Wien, Badischer Kunstverein, Karlsruhe und Bonner Kunstverein, Bonn (1988) / 1988 Ars Electronica, Linz / 1985 Raum annehmen, Galerie Insam, Wien / 1984 Neue Wege Plastischen Gestaltens, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz / Reliefbilder, Galerie nächst St. Stephan, Wien und Galerie Krinzinger, Innsbruck; Junge Szene Wien, Secession, Wien / 1981 Erweiterte Fotografie, Secession, Wien.
Ausgewählte Publikationen:
Hans Kupelwieser: Postmediale Skulpturen, Christa Steinle (Hg.), Graz und Ostfildern-Ruit 2004; Hubert Scheibl, Hans Kupelwieser, Secession, Wien 1990.
Abbildungen:
Erythrozyten, 2002, Foto: Hans Kupelwieser;
Blase in die Ecke (Installation, Neue Galerie Graz, Hof), 2004, Foto: Angelo Kaunat.
Courtesy Hans Kupelwieser |