Mahnmal für homosexuelle und transgender Opfer des Nationalsozialismus

Dossier Ann-Sofi Sidén

 
 
Fideicommissum Eva

Die schwedische Künstlerin Ann-Sofi Sidén erzählt Geschichten, die oft abgründig und befremdlich wirken, weil sie die Absurdität im Normalen und Alltäglichen offen legen. Schonungslos, mit der wissenschaftlichen Genauigkeit einer Archäologin oder dem Blick einer Analytikerin, untersucht sie gängige Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse und versucht unermüdlich, die Untiefen der menschlichen Psyche Schicht für Schicht freizulegen. Im Zentrum ihres Werkes steht das Individuum als beseeltes Wesen, das im ständigen Bemühen lebt, einander widersprechende menschliche Anforderungen und Zuweisungen zu bewältigen.

Sidéns Geschichten verlaufen niemals geradlinig, sondern entfalten sich vielschichtig zwischen geradezu unüberbrückbaren Gegensätzen. Eines ihrer übergeordneten Themen ist das der Ambivalenz und Dualität von Normalität und Wahnsinn, von Fiktion und Wahrheit, von Psychologie und Geschichte. In diesem Spannungsfeld kreist ihre künstlerische Arbeit um den sozialen Alltag und zwischenmenschliche Beziehungen, die geprägt sind von Verletzungen, Hierarchien, Abhängigkeiten, Kontrolle und Überwachung. So objektiv und kontrolliert der Ansatz erscheinen mag, so sehr spiegelt das Werk das persönliche Erleben der Künstlerin wider. In der Balance zwischen subjektivem Empfinden und der präzisen Beobachtung, zwischen Nähe und Distanz, Intimität und Fremdheit gelingt es Sidén, wertfrei zu bleiben und jeden auch nur ansatzweise moralisierenden Duktus zu vermeiden.

Ausgewählte Werke:
Codex (1993-2005), zu sehen von 30. Juni bis 30. Juli 2005 in der Galerie Christine König in Wien, behandelt elf Kriminalfälle aus den schwedischen Gerichtsakten von 1475 bis 1833, die in öffentliche Verurteilungen von Frauen mündeten. Sidén nimmt in ihrer Arbeit die Fälle wieder auf und schafft damit Raum für die Möglichkeit des Zweifels am längst vollzogenen Urteil.

QM, I think I call her QM (1997): ein Film über eine Analytikerin, die in ihrer Wohnung eine archaische, von Schlamm bedeckte Kreatur entdeckt: die von der Künstlerin selbst gespielte „Queen of Mud“. Zwischen den Figuren entwickelt sich ein komplexes Wechselspiel, basierend auf Besessenheit, Überwachung, Verletzbarkeit und Ausgeliefertsein.

Warte Mal! (1999): In der Wiener Secession zeigt Ann-Sofi Sidén 1999 erstmals eine berührende Installation, deren Titel - eine harmlose Aufforderung zum Innehalten - sich als Verweis auf die ersten und oftmals einzigen deutschen Worte entpuppt, welche die Mädchen an der tschechisch-deutschen Grenze erlernen, um die vorbeifahrenden, zumeist deutschen Autofahrer als Freier anzuhalten. Warte Mal! ist das eindringliche soziale Porträt einer Region, in der Massenprostitution und Frauenhandel zum Normalfall geworden sind. Fast ein Jahr lang hat sich Sidén im Transitbereich zwischen der ehemals kommunistischen und der westlichen Welt aufgehalten und das Erlebte in eine raumgreifende Installation aus bewegten und eingefrorenen Bildern, aus Texten und Tönen verarbeitet.

Poshlust (2003), zu sehen von 20. April bis 28. August 2005 im Atelier Augarten in Wien, ist eine kleine, tiefgründige Fotoserie über weiße Pferde im Zweiten Weltkrieg. Wie im Werk Codex findet auch hier eine Verschiebung statt: formal durch das erneute Abfotografieren des vorgefundenen Bildmaterials und das Nebeneinander von Vorder- und Rückseite sowie inhaltlich durch die Verschiebung des Blickwinkels. Wer hat je den Krieg im Hinblick auf weiße Pferde betrachtet?

Kurzbiographie:
Ann-Sofi Sidén: *1962 in Stockholm. Sie lebt und arbeitet in Berlin, New York und Stockholm. Von 1986 bis 1992 studierte sie an den Kunsthochschulen in Stockholm, Maine und Berlin. Als Stipendiatin nahm sie an Atelierprogrammen am P.S.1 in New York (1993/94), am DAAD in Berlin (2001) und im Atelier Augarten in Wien (2003) teil. Sie arbeitet sowohl in einem erweiterten skulpturalen Bereich, als auch mit den Medien Fotografie, Video, Film und Text. Werke von Sidén wurden von bedeutenden internationalen Museen und Sammlungen angekauft.

Ausgewählte Ausstellungen:
Einzelausstellungen: 2005 Galerie Barbara Thumm, Berlin; Galerie Christine König, Wien / 2004 Moderna Museet Stockholm, Stockholm / 2003 Kölnischer Kunstverein, Köln / 2002 ArtPlace, San Antonio, Texas; Hayward Gallery, London / 2001 Galerie Christine König, Wien; Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Paris / 2000 Hirshhorn Museum, Washington DC / 1999 Secession, Wien / 1996 Museum Malmö, Malmö / 1995 Galerie Nordenhake, Stockholm.

Gruppenausstellungen: 2005 Becoming Animal, MassMoca, North Adams; Das Neue II, Atelier Augarten, Wien / 2004 Berlin North – Zeitgenössische Künstler aus den nordischen Ländern in Berlin, Hamburger Bahnhof, Berlin; Born to be a Star, Künstlerhaus, Wien / 2003 Fast Forward, ZKM Museum für Neue Kunst, Karlsruhe / 2001 Berlin Biennale, Kunstwerke Berlin, Berlin / 2002 Biennale of Sydney, Sydney; Die Wohltat der Kunst. Post/Feministische Positionen der 90er Jahre, Sammlung Goetz, München / 2000 Organising Freedom, Moderna Museet Stockholm, Stockholm / 1999 Midnight Walkers & City Sleepers, Red Light District Amsterdam; dAPERTutto, 48. Biennale di Venezia, Venedig; Dial M for..., Kunstverein München, München; Carnegie International 1999/2000, Pittsburgh / 1998 Nuit Blanche, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, Paris; XXIV Biennale de Sao Paolo, Sao Paolo; Manifesta 2, Luxemburg / 1997 Zonen der Ver-Störung, Steirischer Herbst, Graz.

Ausgewählte Publikationen:
Ann-Sofi Sidén: In Between the best of Worlds, Moderna Museet Stockholm, Göttingen 2004; Ann-Sofi Sidén, Kölnischer Kunstverein, Köln 2004; Ann-Sofi Sidén – Enquete. The Panning Eye Revisited, Museé d’Art Moderne de la Ville de Paris, Paris 2001; Ann-Sofi Sidén - Warte Mal!, Secession, Wien 1999.

Abbildungen:
Fideicommissum, 2000, Bronze, 100 x 60 x 70 cm.
Eva, 2001, aus der Serie "Motel Hubert", Farbfoto auf Aluminium, 76 x 51 cm (Teil der Installation Warte Mal!).
Abbildungen: Courtesy Galerie Christine König, Wien.


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