Heinz Gappmayr
Raumtexte / Hauptbücherei Wien

 
 
 

„Wo Gappmayr hinsehen lässt, setzt Denken ein, und kehrt als Erkenntnis in den Betrachter zurück“. Dieser Satz stammt von dem Dichter Ferdinand Schmatz und erfasst in knappster Form die Kunst von Heinz Gappmayr. 1 Dass das Gebäude, an dem diese Kunst jetzt ihren Ort gefunden hat, die Hauptbücherei der Stadt Wien ist, kann man als programmatischen Idealfall bezeichnen.

Heinz Gappmayr hat für die Hauptbücherei drei Arbeiten geschaffen, eine – verdoppelt – an die beiden längsseitigen Außenfassaden zum Gürtel, eine zweiteilige im Eingangsfoyer in die Bücherei und eine dritte an der Stirnseite der Eingangshalle beim Abgang zur U-Bahn.
Gappmayrs Arbeiten sind Raumtexte, die in komplexer Weise das Gebäude, seine Funktion, seine Architektur, und seine städtebauliche Situation durchdringen: An den beiden Außenwänden sitzt jeweils das Wort ECHO, das symmetrisch zu einem selbstständigen Wortbild erweitert wurde. An den hohen Seitenwänden des Foyers hat Gappmayr, auch hier die Symmetrie des Raumes aufgreifend, je drei Namen von Sternen des Winterhimmels übereinander gesetzt; und an der Stirnwand der Treppe zur U-Bahn ist in drei Zeilen in das Wort „zeit“ geschrieben.

So wie die Setzung der einzelnen Wörter oder Wortbilder auf die architektonische Logik des Gebäudes Bezug nimmt, sind auch die Wahl der Materialien und die Maße der jeweiligen Buchstaben darauf abgestimmt. Die aus Metall gefertigten Buchstaben an den Außenwänden sind, deren Proportionen entsprechend, 170 cm hoch und 9 cm tief, matt schwarz lackiert, die Buchstaben der Sternennamen sind 37 cm hoch, etwas erhaben mit silbern schimmernder Oberfläche, Aluminium eloxiert, und der „zeit“-Text besteht ebenfalls aus Alu; sie sind matt schwarz gestrichen und auf den Putz geklebt.

Gappmayrs Kunst besteht also aus Schriftzeichen oder Wörtern, die sowohl als materielle Objekte als auch als Bilder wahrgenommen werden, wobei – und hier erhalten Gappmayrs auf Architektur oder den öffentlichen Raum bezogene Arbeiten ihre besondere Relevanz – wobei also bei dieser bildhaften Wahrnehmung auch die Flächen, Räume oder Orte, für die er sie konzipiert, mit der Bedeutungsordnung von Sprache und Schrift konfrontiert werden und zu einem Teil des hier in Gang gesetzten Denkprozesses werden.

Gappmayrs Raumtexte führen uns den Unterschied und zugleich das komplexe Verhältnis zwischen Zeichen und Begriff vor Augen, oder – wie der Sprach- und Kommunikationswissenschaftler Siegfried J. Schmidt schreibt – es sind es Texte,
die den „blinden Fleck unseres üblichen Zeichengebrauchs beobachtbar machen“.2

In einem kurzen Text, den Heinz Gappmayr zu diesen Arbeiten für die Bücherei verfasst hat, benennt er, worum es bei diesem blinden Fleck gehen könnte:

Die Sprache deckt sich nicht genau mit dem Bezeichneten.
Die Schrift setzt sich zusammen aus geraden und gekurvten Linien,
die gesprochene Sprache bildet eine Struktur von Schallwellen,
die – wie die Schrift – auf Grund von Konventionen Sinn vermittelt.
Dass es möglich ist, nur mit Linien oder bewegter Luft
komplizierteste Sachverhalte weiterzugeben, ist erstaunlich.
Diese Voraussetzungen betonen die Bedeutung
des isolierten einzelnen Wortes
außerhalb der gewohnten Syntax
und die Grenze zwischen sinnfreien und sinnbildenden Lineaturen.
(Heinz Gappmayr, 2006)

„Gappmayr“, schreibt Schmidt, „arbeitet an der Schnittstelle von Sprachmaterialität
und kognitiver Selbstreferenz. Seine Arbeiten sind gezeigter Vollzug von Schauen und Denken. [...] Und“, hebt Schmidt an anderer Stelle einen wichtigen Aspekt hervor, „er arbeitet in einer Weise, die jede auf Eindeutigkeit erpichte Deutung ad absurdum führt.“3

Heinz Gapmayr hat die Begriffe Zeit und Echo sowie kulturgeschichtlich relevante, sehr alte Wörter, wie die Namen von Sternen des Winterhimmels, gewählt, um einen Zusammenhang zwischen der Bedeutung und Bestimmung des Hauses und der Idealität sprachlicher Präsenz herzustellen. Mit dem „symmetrisch erweiterten“ Wort ECHO, schreibt Gappmayr, „entstand kein mimetisches Abbild des Phänomens der Wiederholung, sondern ein transformiertes, selbständiges Wortbild, das den Vorgang des zurückgeworfenen Schalls andeutet und zugleich assoziativ die Idylle und Bukolik, die mit diesem Wort verbunden sind, im Bewusstsein des Lesers und Betrachters evoziert.“ Und, möchte ich hinzufügen, ein Wortbild, das an diesem Ort auch das Außen, den verkehrsreichen Stadtraum auf beiden Seiten des Gürtels, und das Innen, den Raum der Bücher, miteinander verschränkt.

Im Inneren, auf den zehn Meter hohen Wänden links und rechts im Eingangsfoyer der Bücherei stehen drei jeweils axial angeordnete fremd klingende Namen von Sternen, die nicht sofort für jeden verständlich sind. „Aber“, sagt Heinz Gappmayr, „eben dieser Moment des Befremdlichen und der zeitlichen Distanz zur Entstehungszeit dieser Bezeichnungen ist hier thematisiert - und zugleich der Reiz des Kontrasts zwischen Sprache und Gestirn.“

 

Die Namen ALGOL, ALDEBARAN, BETEIGEUZE, PROCYON, RIGEL, SIRIUS sind schön und geheimnisvoll und sie machen neugierig, sie machen Lust darauf, etwas über sie zu erfahren und sie sind zugleich auch der Inbegriff dessen, was uns Heinz Gappmayr in seiner konzeptuellen Poetik – so nennt Schmidt seine Kunst – zu Verstehen gibt, nämlich dass bei aller Erkenntnis immer etwas offen bleibt, wir die Erfahrung machen, dass wir in unserer Interpretation der Welt, bei der Konstruktion unserer Modelle der Welt immer auf Vorstellung und Spekulation angewiesen und gezwungen sind, unser Nichtwissen anzuerkennen.

Die Sternennamen enthalten in nuce die verdichtete Geschichte solcher Interpretations- und Vermessungsmodelle: Ihre Sprachwurzeln sind Griechisch, Lateinisch und Arabisch – das Letztere auf interessante Weise verballhornt – und sie verkörpern auf den Kosmos projizierte religiöse und mythische Denkbilder aus der Antike und dem Mittelalter.

In den Sternennamen wird die Unwägbarkeit der abstrakten Begriffe Raum und Zeit, die Gappmayr immer wieder konzeptuell bearbeitet, auf besondere – nicht zuletzt auch romantische – Weise anschaulich. Sirius, der Hundsstern, ist der uns nächste dieser sechs Sterne, seine Entfernung beträgt „nur“ 8,6 Lichtjahre, Rigel, der hellste Stern im Sternbild des Orion, ist der am weitesten entfernte, Schätzungen liegen zwischen 700 und 900 Lichtjahren.

„ Die Zeit“, sagt Heinz Gappmayr, „ist kein sichtbares Objekt der Wahrnehmung.
Man kann sie nicht sehen, sie ist immateriell und ungreifbar. Genau das erfasst das „Bruchstückhafte und Meditative des Wortbildes“, das er an der Stirnseite der Eingangshalle zur U-Bahn angebracht hat: In drei Schriftzeilen, die sich aus Buchstabenfragmenten zusammensetzen, ist jeweils das Wort „zeit“ zu erkennen.

„Das menschliche Empfinden von Zeit“, kann man im Lexikon nachlesen,
„ ist von ihrem Vergehen geprägt, einem Phänomen, das sich bisher einer natur-wissenschaftlichen Beschreibung entzieht und als das Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit kommend zur Zukunft hin wahrgenommen wird. Zeit hängt mit Veränderung zusammen.“ Mit dem Schriftbild „zeit“ verwickelt uns Gappmayr unter verschiedensten Aspekten in seine Fragestellungen, sei es in Bezug auf die Philosophie, Physik, Ökonomie, Soziologie oder unsere momentane Alltagserfahrung.

Ferdinand Schmatz hebt einen wichtigen Aspekt bei Gappmayrs Arbeiten im öffentlichen Raum hervor, der mit seiner Kunst in den sozialen und öffentlich definierten Raum eindringe und auf eine Veränderung desselben hinarbeite. Schmatz nennt das die „Lust am Verstehen, die seine Arbeit auch unmittelbar sinnlich macht“ und schreibt: „Gappmayrs Begriffe, die immer eindeutig und offen zugleich sind, lösen eine Handlung aus, in der ihre Kontur, ihre materielle Form gefüllt, und das Verlangen des Betrachters dadurch erfüllt wird. Dieser gibt dem Begriff den Inhalt, den er in der Konvention gelernt hat und jenen, den er in der aktuellen Situation der Rezeption erkennt, dazu, ‚schmiegt’ ihn an den Gegenstand, den er im Bewusstsein mit entwickelt, an. Alle körperlichen Organe sind mitbeteiligt: Er geht, er blickt, er murmelt oder ruft, er greift sich an die Stirn, er hört genau hin oder schließt die Augen und stellt sich das vor, was er gelesen hat. Oder er hält sich die Ohren zu, um zu lesen, innen, was er, außen, was vor seinen Augen steht, gelesen hat _ Sinnlichkeit stellt sich ein, die aus der Abstraktion der Vorlagen und deren Materialität kommt.“4
Das könnte man eigentlich auch als Handlungsanweisung für eine Bücherei lesen.

Heinz Gappmayr sagte es so: „Alle diese Raumtexte sind unterschiedliche Aspekte
der Beziehungen zu dem kostbaren Inhalt der Bibliothek und der kühnen und subtilen Architektur.“

Silvia Eiblmayr
19. Juni 2006

Anmerkungen
1 Ferdinand Schmatz, „Das Abstrakte diskret konkret. Zur dichterisch-bildnerischen Arbeit von Heinz Gappmayr“; in: Heinz Gappmayr. Text Farben Raum, Katalog, Galerie im Taxispalais, Folio Verlag, Wien-Bozen, 2001.
2 Siegfried J. Schmidt, Zwischen Platon und Mondrian. Heinz Gappmayrs konzeptuelle Poetik, Ritter Verlag, Klagenfurt 2005.
3 Schmidt, op. cit.
4 Schmatz, op. cit.


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